Was ist eigentlich los im Staate México? Anschläge, Attentate, Morde, Enthauptungen, wilde Schießereien, in die die Polizei nicht eingreift, Entführungen und und und… traurige Normalität hier. Jeden Tag finden sich in den Zeitungen neue Meldungen über ermordete Polizeipräsidenten, aufgefundene Leichen, Anschläge auf Banden oder Schießereien auf offener Strasse. Am Wochenende hatte ich mir in DF El Universal gekauft, schon auf der Titelseite prangten mir die ersten Leichen entgegen. Bei diversen Schießereien zwischen Drogenbanden waren allein am Samstag 15 Menschen getötet worden, allesamt nur in der Gegend rund um Tijuana in Baja California.
In der gleichen Zeitung ein Bericht über Plakate und Tücher, die im ganzen Lande aufgetaucht sind.
Das Golfkartell ruft zur Ergreifung der Verantwortlichen für das Attentat vom 15. September in Morelia auf. Das Drogenkartell als Verbrechenbekämpfer – bienvenidos a México. In diversen Städten, darunter in Veracruz und DF, sowie Spekulationen zu Folge auch in einer kleinen Nachbarstadt Pueblas (Atlixco), war der Aufruf auf Tüchern und Plakaten zu lesen – über Nacht wurden sie auf Fußgängerbrücken über großen Strassen aufgehangen. In dem Aufruf verurteilt das Kartell zunächst den Anschlag auf die Unabhängigkeitsfeiern in Morelia, bei denen 8 Menschen durch Bomben getötet wurden. Außerdem setzt das Golfkartell 5 Millionen Dollar auf die Ergreifung von zwei Männern auf, die sie für die Verantwortlichen Drahtzieher halten. Das Geld könne, so die erbrachten Informationen zur Ergreifung der zwei Männer führe, auch in jeder beliebigen Währung ausgezahlt werden, fügen das Kartell hinzu. Und die Männer sollten nicht etwa der Polizei ausgeliefert werden, sondern dem Kartell persönlich, die Menschen wüssten schon, wo sie sie antreffen würden. Verkehrte Welt und keiner weiß, wer gut, wer böse ist.
Seit dem Präsident Felipe Calderon seit 2006 im Amt ist, ist der Drogenkrieg in Mexico blutiger, schmutziger und unüberschaubarer geworden. Was Entführungen und Ermordungen von Journalisten angeht, landet Mexico inzwischen nur noch einen Platz vor dem Irak. Nachdem die größten Drogenkartelle in Kolumbien zerschlagen wurden, ist Mexico inzwischen zum wichtigsten Drogenumschlagplatz und Transferland geworden. Mehrere Milliarden Dollar (geschätzt 20 Milliarden – Mexico investiert jedes Jahr 10 Milliarden Dollar in öffentliche Sicherheit) verdienen die Kartelle mit dem Drogenschmuggel von Komlumbien in die vereinigten Staaten, und wo es um so viel Geld geht, wird mit harten Bandagen gekämpft. Einzelne Regionen scheinen bereits völlig in der Hand von Drogenkartellen zu sein – Polizisten und Spezialeinheiten kämpfen inzwischen häufig lieber für die Bösen, als für die Guten. Anderswo quittieren ganze Polizeistationen aus Angst, ins Kreuzfeuer der Kartelle zu geraten, ihren Dienst. Mexicos Präsident setzt gegen den ausufernden Drogenkrieg seine Lieblingslösung ein: Das Militär. Soldaten werden in besonders gefährdeten Städten stationiert und Ex-Soldaten sollen Polizeistationen übernehmen, die völlig vom Drogen- und Korruptionsgeschwür der Mafia durchsetzt sind und waren.
In der Öffentlichkeit werden die Maßnahmen der Regierung kaum als Erfolg wahrgenommen. Denn seitdem
härter durchgegriffen wird, ist der Drogenkrieg insgesamt grausamer geworden. Im Schnitt werden am Tag neun Menschen im Drogenkrieg ermordet, an manchen aber bis zu fünfzig. Und weil ganze Polizeieinheiten sich Schießereien mit Spezialeinheiten, die Drogenbosse ergreifen wollen, liefern, weiß auch keiner, wer wem noch trauen kann. Das Land versinkt im Drogensumpf. Und wer ehrlich gegen Kartelle, Korruption und organisierte Kriminalität kämpft, muss mit einem kurzen Leben rechnen. Allein vorgestern wurden wieder zwei Polizeichefs von Banden auf offener Strasse erschossen, der von Guanajato und der von Sinaloa. Aber auch sie waren nur zwei von ingesamt 29 Opfern an einem Tag im Drogenkrieg in Mexico. Verwunderlich für mich, dass der so blutige und grausame Konflikt zwischen verschiedenen Kartellen und Profiteuren in Deutschland in der Presselandschaft kaum stattfindet. Lediglich das Attentat von Morelia am 15. September hatte es wohl in die deutschen Tageszeitungen geschafft. Ansonsten wird die Problematik weitgehend ausgeblendet. Aber gut, wen wundert’s, schließlich interessieren uns in Europa nun mal nur die EU-Staaten, die USA und Katastrophen mit so richtig vielen Toten. Und Mexico bleibt weiter das beliebte Reiseland, mit Tequila, Sombreros, Maya- und Atztekenstätten und türkisblauem Wasser – in der Karibik zumindest.
Einige deutschsprachige Zeitungsartikel zum Drogenkrieg in Mexico:
Und noch weitere Links zu mexikanischen Medien (Spanisch):
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